Wednesday, January 27, 2010

Die Feier

Die Feier

(Eine russische Geschichte)




So wie in der Vergangenheit die Sowjetunion, bleibt auch das heutige Russland ein Land der unglaublichen Unmöglichkeiten. Im Sozialismus konnten wir allerlei erleben. Absurditäten feierten hier fröhliche Umstände. Aber es hatte immer eine eigenartige, sowjetische Logik. Als wir einmal von Leningrad nach Prag zurück flogen, kam ich, während wir am Flughafen warteten, zufällig darauf, dass unser Flugzeug aus technischen Gründen eine Zwischenlandung in Bratislava machen und erst dann nach Prag fliegen sollte. Ich ergriff sofort diese Chance und ging zusammen mit der Leiterin unserer Gruppe in das Büro der Aeroflot, um die Möglichkeit des Aussteigens in Bratislava zu erörtern. Der Aeroflot -Angestellten gefiel das nicht, sie war aber dann nach vielem Zureden doch einverstanden. Vorausgesetzt ich zahlte auf. Das hatte ich, ehrlich gesagt, erwartet. Das Bereitstellen der Treppe kostet doch etwas. Das wäre aber nicht der Grund, sagte mir die Dame. Ich musste nicht deswegen aufzahlen, weil mein Aussteigen mit irgendwelchen Mühen verbunden wäre, sondern weil die Luftlinie Leningrad – Bratislava länger ist, als die Luftlinie Leningrad Prag! Dass es das gleiche Flugzeug und der gleiche Flug war, spielt keine Rolle. Ich bezahlte.
Im Sowjetischen Russland war es Gang und Gäbe, die besten Vorsätze in katastrophale Ruinen zu verwandeln. Berühmt dafür waren die Moskauer Restaurants. Obwohl es wenige gab und Tausende Interessenten vor den Türen warteten, standen sie üblicherweise leer. Dank der löblichen Regel der sozialistischer Tischkultur, die verlangt, dass jeder Gast immer einen aufgeräumten, sauberen Tisch vorfinden sollte. Die sowjetische Lösung war, daß die Kellner die ersten Gäste bedienten und dann die Tische unaufgeräumt stehen ließen. Und weil die Tische unaufgeräumt waren, konnte kein weiterer Gast bedient werden. Die Kellner rissen sich keinen Haxen aus und das Gehalt lief weiter.
Als ich einmal über diese dadaistischen Erlebnisse mit einem befreundeten slowakischen Journalisten sprach, musterte er mich freundlich und erklärte, dass für den sogenannten „sowjetischen Menschen“ dieser Dadaismus sein tägliches Brot war. Und er nannte auch gleich ein Beispiel:
Noch in den Zeiten des Sozialismus besuchte er Moskau mit einer Gruppe ausländischer Journalisten, die ein Kollege aus TASR begleitete. Er führte sie überall hin, zeigte Ihnen alle Museen von V.I. Lenin und als es endlich Abend war und alle genug von den Besichtigungen hatten, wollten die Ausländer essen gehen. Die Stirn des bis dahin enthusiastischen russischen Kollegen verdunkelte sich.
„Das ist ein Problem“, sagte er betrübt. „Wir haben keinen Tisch bestellt.“
„Was für ein Problem“, wunderten sich die naiven Ausländer. „Wir gehen ins nächste Restaurant und wir werden sehen.“
Sie gingen ins nächste Restaurant und sahen gleich beim Eingang einen Opa mit einem großen Buch. Er hörte sich ihren Wunsch essen zu wollen höflich an und schob ihnen das Reservierungsbuch unter die Nase. Die nichtsahnenden Journalisten trugen sich bereitwillig ein und machten sich daran hineinzutreten. Aber da hielt sie der Opa höflich auf und teilte ihnen mit:
„Ich danke Ihnen für Ihre Reservierung, Genossen. Wir erwarten sie in zwei Monaten um diese Zeit...“ Dass sie essen wollten, interessierte ihn nicht. Das Restaurant war nämlich voll von Genossen, die rechtzeitig (vor zwei Monaten) einen Tisch reserviert hatten. Der Opa klappte das Buch zu und dachte, dass damit alles erledigt sei. Aber die ausländischen Journalisten wußten, dass sie sich als Ausländer aus einem befreundeten Land etwas leisten konnten. Und so begannen sie unheimlich zu schreien (der Hunger half ihnen dabei, in Moskau gab es damals etwa alle fünf Kilometer ein Restaurant). Zum Schluss brachten sie den Kollegen aus TASR dazu, dass er die Geschäftsführerin aufsuchte, ihr die Situation darstellte und nach langem Hin und Her gelang es ihnen doch, ins Restaurant vorzudringen. Es war halbleer.
Die Journalisten setzten sich an den nächsten Tisch, bestellten und nach einer unglaublich langen Wartezeit bekamen sie etwas, das eine Ähnlichkeit mit Essen hatte. Aber die ganze Zeit des Wartens hatten sie Wodka so viel sie wollten und einigermaßen satt und fröhlich vom Wodka und Gefühl sozialistische Tischregeln überlistet zu haben, sahen sie sich um. Von den wenigen Gästen, die im Raum saßen, fiel ihnen ein unweit sitzender, einsamer Mann auf. Er saß am Tisch, vor ihm eine Vase mit Rosen, daneben eine angebrochene Sektflasche, und trank langsam vor sich hin. Die Journalisten konnten nicht anders, Journalisten sind neugierig. Und so nahm einer seinen Mut zusammen, ging zu dem Mann und fragte ihn: „Verzeihen Sie, Genosse. Könnten Sie uns sagen, was sie feiern?“
„Ich feiere den Geburtstag meiner Frau“, antwortete ruhig der Mann.
„Und wo ist Ihre Frau?“
„Sie konnte nicht reservieren“, antwortete ruhig der Mann und trank weiter.


Übersetzung aus dem Slowakischen von Zdenka Becker

1 comment:

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