Wednesday, June 17, 2009

Essay in German I

LEBEN ALS SAMIZDAT I

Anscheinend haben wir vom Leben schon reichlich genug aus dem herausgehört und -gelesen, was uns die Humanwissenschaften bieten. Aber wie wäre es, wenn wir das auch mit der Wissenschaft vom Leben, der Biologie, versuchten? Neueste Erkenntnisse geben zu verstehen, daß die Trägerin der genetischen Grundinformation, die Desoxyribonukleinsäure (DNA), nicht so empfindlich ist, wie wir angenommen haben, und erkennbare Spuren ihres Codes auch unter sehr ungünstigen Bedingungen und über Jahrhunderte hinweg bewahrt. Doch es wurden Spuren auch ihrer relativ selbständigen Existenz gefunden. Dadurch ist es möglich, mittels entsprechend hergerichteter Technik rückwirkend die Historie dieser Informationsbasis alles Lebenden zu verfolgen. Die neueste Definition des Lebens nach Ansicht der Kybernetiker besagt nämlich - Leben ist Information. Das hängt mit Dawkins Hypothese vom "selbstsüchtigen Gen" zusammen. Ihr zufolge ist alles Lebende, das wir auf dieser Erde kennen, nur ein mehr oder weniger komplizierter "Träger" dieser selbstsüchtigen, autonomen Information. Selbstsüchtig deshalb, weil es nur auf seine Fortpflanzung blickt, auch um den Preis der Vernichtung anderer Lebensversionen. Die Paarung mit dem Mörder ist in der Natur keine Rarität. Das Männchen, das ein anderes besiegt, okkupiert dessen Weibchen und tötet seine Nachkommen. Indem das Weibchen zu säugen aufhört, wird es wieder paarungsbereit und zeugt in den meisten Fällen mit dem Mörder ihrer Jungen Nachkommen, die jetzt bereits seine Gene tragen. Sollte einer meinen, eine solche grausame Logik sei uns fremd, dann schaue er sich Shakespeares Tragödie Richard III. an.

Die Promiskuität der selbstsüchtigen DNA

Die spezifischen Gesetze der Natur führen dabei zu einer "Dissidentenstrategie" der Lebenserhaltung. Dissidenten versuchen in einem politisch ungastlichen Umfeld eine bestimmte Information (z. B. darüber, daß es eine Demokratie, eine Freiheit des Wortes und des Reisens tatsächlich gibt) zu hüten. Sehr schnell haben sie gelernt, daß diese Information in Form einer Kopie leicht verloren geht. Selbst wenn Sie sie in einen einbruchssicheren Tresor gäben, würden Verrat oder Zufall für ihre Entdeckung sorgen. Und sollten Sie diese eine Kopie an einem unbekannten Ort vergraben, könnten Sie sie genau dadurch vernichten, denn die Repression der unwirtlichen Umwelt wird Sie auslöschen, noch ehe Sie sagen können, wo sich dieser wertvolle Gegenstand befindet. Über Jahrtausende menschlicher Historie haben wir bereits erfahren, daß selbst die stärksten Festungen, massivsten Sarkophage und sinnreichsten Labyrinthe Schätze nicht davor bewahrt haben, geraubt zu werden. Die Pyramiden sind ein ewiges Memento der Naivität eines solchen Tuns. Die einzige Garantie für die Erhaltung eines kostbaren Schatzes, und DNA ist ein überaus kostbarer und zerbrechlicher Schatz, ist seine - Vervielfältigung. Im Falle der Dissidenten hieß diese siegreiche Strategie Samizdat. Je mehr Samizdatkopien die Dissidenten herstellen konnten, desto größer war die Chance, daß die bewahrte Information überlebte, trotz der intensiven Vernichtungskraft der geheimen und öffentlichen Polizei, trotz Gefängnis, Ausweisung und Hinrichtungen. Vielleicht allein deshalb, weil eine vergessene Kopie jahrzehntelang auf dem Schrank einer für die Polizei ganz uninteressanten Familienbehausung liegt. Und genau so verhält sich die "selbstsüchtige" DNA - sie verbirgt sich in den seltsamsten Lebensformen. Jede von ihnen hat ihren Sinn, doch was, wenn durch Ungunst der natürlichen Veränderungen nur violett gepunktete Käferchen mit grünen Beinchen überleben? Doch auch ein so belangloses Geschöpf wie die Schabe kann sich vielleicht als ausgewählte Trägerin einer kostbaren Nachricht erweisen, falls sie als eine von wenigen sogar den Irrsinn eines Atomkrieges zu überleben vermag!

(to be continued)


Übersetzt von Karl-Heinz Jähn



1 comment:

Anonymous said...

Dank fur Gottes intiresny